Zur Geschichte der Leipziger Alpenvereinssektionen

Bereits am 31. Mai 1869, dem Gründungsmonat des Deutschen Alpenverein (DAV), entstand – durch die Initiative einiger Juristen, Ärzten, Künstlern und Verleger –die Sektion Leipzig des DAV. Das Bergsteigen war zu jener Zeit wenigen Wohlhabenden, Gebildeten vorbehalten. Deshalb bestand das Ziel auch zunächst im „Austausch von Erfahrungen und gegenseitigen Mittheilungen ... in Bezug auf die Bereisung der Alpen“. Schon bald trat als Hauptaufgabe die Erschließung der Alpen durch Hütten- und Wegebau hinzu, anknüpfend daran auch die bergsteigerische Erschließung des jeweiligen „Arbeitsgebiets“ im Umkreis der Hütten. Gleichzeitig entwickelte sich bis zum 1. Weltkrieg ein von Jahr zu Jahr regeres Vereinsleben.

1879 konnte im Adamellogebiet die Mandronhütte, die erste Hütte der Sektion gebaut werden. 1887 wurden zwei weitere Hütten, die Lenkjöchlhütte und die Grasleitenhütte eingeweiht, bis die Sektion 1913 sechs Hütten ihr eigen nannte. In Leipzig nahmen im Lauf der Jahre mehrere Arbeitszweige (z. B. Hüttenausschuss, Festausschuss) die Arbeit auf. 1906 war Leipzig die gastgebende Sektion für die Generalversammlung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DÖAV). War die Mitgliederzahl zunächst nur langsam gestiegen und erst 1876 die Zahl 100 überschritten, zählte die Sektion 1898 immerhin schon ca. 1000 Mitglieder. Aus einer schon länger bestehenden Gruppierung bildete sich 1907 eine zweite Leipziger DÖAV-Sektion namens Jung-Leipzig, die gegenüber der konservativ-elitären Sektion Leipzig eher demokratisch strukturiert und in stärkerem Maße bergsportlich bis hochtouristisch orientiert war. Wie die Sektion Leipzig entfaltete sie ein reiches Vereinsleben mit Kletterfahrten, Hüttenabenden, Jahresfesten und Lichtbildervorträgen. Beide Sektionen fanden ihre Heimstätte im Leipziger Krystallpalast.

Der 1. Weltkrieg und seine Folgen stellten einen empfindlichen Einschnitt für den Verein dar. Zählte er in der Summe beider Sektionen 1914 ca. 2150 Mitglieder, ging diese Zahl bis 1919 auf 1689 Personen zurück. Abgesehen von 81 Kriegstoten hatte der Verein den Verlust seiner 6 Hütten und der entsprechenden Arbeitsgebiete zu beklagen, die sämtlich in Südtirol lagen und vom italienischen Staat enteignet wurden. Das Reisen war aus wirtschaftlichen und politischen Gründen (Grenzsperrungen) fast unmöglich geworden.

Doch gerade die wirtschaftlich schweren Jahre um 1920 bis 1925 führten zu einem ungeahnten Aufschwung des Vereinslebens. Viele Bergfreunde fanden in Notzeiten Freude in den heimischen Gebirgen und im Vereinsleben selbst. Die bislang höchste Mitgliederzahl von 3565 (Summe von nunmehr drei Leipziger Sektionen) wurde im Jahre 1925 erreicht. Das Klettern im Gebiet Brandis – Grimma – Wurzen sowie im Elbsandsteingebirge entwickelte sich unter Felix Simon, Richard Voigtländer und Max Dathe. Hier, im sächsischen Klettern, wurden Maßstäbe gesetzt.

1927 konnte die Sektion Leipzig endlich wieder eine eigene Hütte, die Sulzenauhütte im Stubaier Hauptkamm, eröffnen. Sektion Jung-Leipzig erbaute 1929 die Hauerseehütte in den Ötztaler Alpen.

Ab 1926 begann, zunächst geringfügig, ab 1933 deutlicher, ein bis 1945 anhaltender Mitgliederschwund. Ab 1928 waren dafür die Wirtschaftskrise und neue Restriktionen bei der Einreise nach Österreich und Italien verantwortlich, ab 1933 und verstärkt ab 1935 die Gleichschaltung des Vereins mit dem Naziregime. Diesen Entwicklungen unterwarfen sich die Sektionsleitungen mehr oder weniger willig; von vielen teils individualistisch, teils demokratisch gesinnten Bergfreunden wurden sie jedoch mit einem schleichenden Exodus beantwortet.

In den Dreißiger Jahren gab es jedoch erfreuliche bergsteigerische Höhepunkte, so die Teilnahme von Felix Simon an der Nanga-Parbat-Kundfahrt 1932. Im Karwendel gelang eine Reihe von Extremtouren. Höchstleistungen wurden besonders im Wilden Kaiser (z. B. Fleischbank-Südostwand, Totenkirchl-Westwand), in den Dolomiten (Nordwand der Großen Zinne) und am Ortler vollbracht. Die Hütten verzeichneten Rekordzahlen an Besuchern.

Durch die Verschärfung der Kriegssituation und die totale Zerstörung der Heimstätte der Sektionen im Krystallpalast am 4. Dezember 1943 kam das Vereinsleben allmählich zum Erliegen und der gesamte DAV wurde mit Kriegsende durch den Alliierten Kontrollrat verboten. Die weitere Entwicklung verlief in beiden deutschen Teilstaaten sehr unterschiedlich.

Innerhalb der DDR fanden sich Bergsteiger und Kletterer vorwiegend in den Betriebssportgemeinschaften bzw. im Deutschen Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungs- 2 lauf der DDR (DWBO) zusammen, denn dem Alpenverein blieb die Zulassung versagt. Abgesehen vom Elbsandsteingebirge orientierte man sich vor allem auf die Tatra, die Gebirge in Rumänien und Bulgarien sowie – bei stark eingeschränkten Möglichkeiten – auf Kaukasus und Pamir. Zweimal konnte bei derartigen Fahrten der Pik Lenin im Pamir bestiegen werden. Zahlreiche Erstbegehungen gelangen im Klettergebiet Belogradschik (Bulgarien). Die letzte große Aktion vor dem Anschluß an die Bundesrepublik war 1990 die Besteigung und Namengebung des Pik Leipzig (5725 m) im Pamir.

1953 ergab sich in der (Alt-)Bundesrepublik Deutschland für die DAV-Sektionen die Möglichkeit, ihre in Österreich gelegenen Hütten – zunächst in Pacht – wieder zu übernehmen. Aus diesem Anlass wurde 1953 eine Leipziger Exilsektion mit Sitz in Wuppertal, später München, gegründet. 1975 wurde die Sulzenauhütte durch eine Lawine fast völlig zerstört und von der Sektion Leipzig in München unter ihrem 1. Vorsitzenden, Hans Koehler, unter großem Aufwand nach modernsten Gesichtspunkten neu erbaut, desgleichen das hütteneigene Kraftwerk und die Abwasserentsorgung. Die Sektion hatte sich bis 1990 zu einer überwiegend bayrischern Sektion entwickelt, ein Prozess, der sich in den 90er Jahren intensivierte. Deshalb und wegen der existenziellen Verknüpfung mit der Hütte nahm die Sektion 1995 den Namen „Sektion Sulzenau“ an.

Noch während der friedlichen Revolution in der DDR wurde am 29.12.1989 in Leipzig dank des Engagements von K. Jendryschik und A. Müller der Alpenverein wieder gegründet. Nach intensiven Kontakten mit dem DAV München (1. Vorsitzender, Dr. F. März) und der Sektion Leipzig in München wurde der Verein schon am 25. Mai 1990 unter dem Namen Sektion Leipzig/Sachsen in den DAV aufgenommen. Bereits 1990 schlossen sich der Sektion viele Mitglieder aus den Betriebssportgemeinschaften bzw. dem DWBO, aber auch zahlreiche neue Mitglieder an. Die Mitgliederzahl stieg auf ca. 200 am Jahresende. 1991 bis 1993 kam das Vereinsleben allmählich auf Touren: eine Geschäftsstelle wurde eingerichtet, Mitteilungshefte wurden herausgegeben, gemeinsame Bergfahrten, alpine Grundlehrgänge, Vereinsabende, Sanierungsarbeiten in den Klettergebieten wurden in Angriff genommen. Das Jahr 1994 stand im Zeichen des 125jährigen Jubiläums der Sektionsgründung. Gemeinsam mit der Sektion Leipzig in München wurden eine Festschrift herausgegeben und zwei Festveranstaltungen (in Neustift und in Leipzig) organisiert. Seit 1995 begann sich die Sektion, verstärkt seit 1999 – inzwischen unter Leitung von Hans Ehrlich – auf bergsportlichem Gebiet, im Vereinsleben und beim Mitgliederstand (Anfang 2002 bereits über 1100 Mitglieder) so zu entwickeln, dass sie zumindest mit Beginn des neuen Jahrtausends den Anschluß an das allgemeine Niveau anderer deutscher Sektionen erreicht hatte und einen der Bedeutung Leipzigs entsprechenden Platz im gesamten DAV und im bergsportlichen Leben der Region einnimmt. Mehrere Kletteranlagen und –areale wurden auf- bzw. ausgebaut oder einer Nutzung durch unseren Verein zugänglich gemacht. In Zusammenarbeit mit der DAV-Sektion „Bergfreunde Anhalt/Dessau“ wurde in der Sächsischen Schweiz eine Berghütte errichtet und wird gemeinsam betrieben. Mitglieder der Sektion bezwangen u. a. Achttausender in Himalaja und Karakorum sowie die höchsten Gipfel in Afrika und Amerika. Besondere Anerkennung aber erwuchs der Sektion vor allem aufgrund ihrer vorbildlichen Kinder- und Jugendarbeit.

 

Autor: Ansgar Müller